"Der Lärm der Welt" ist möglicherweise Neuschnees letztes Album. "Die Produktion dieses Albums hat viel Kraft, Zeit und Ressourcen verschlungen. Ich bin an einem Scheideweg und kann nicht versprechen, dass es noch einmal so ein Album geben wird. Neuschnee wird es aber sicher weiterhin in einer anderen Form geben", erklärt Hans Wagner, Kopf der Band. Und Hans Wagner will sich mit nicht weniger als einem Meisterwerk verabschieden.
Im vierten Titel WAS NOCH MÖGLICH IST heißt es kryptisch: „Die Ewigkeit ist lange, besonders gegen Ende hin. Manchmal küsst sie deine Wange und flüstert, das macht alles Sinn“.
Witz und Poesie, Wortspiele machen die harten Realitäten annehmbar, ohne sie zu beschönigen. Die Mechanismen des Musikgeschäftes und dessen Aufmerksamkeitsökonomie liefern dazu einigen Stoff: „In der Show singt die alleinerziehende Mutter, viel Emotionen, viel Applaus - Die Jury lobt „Musik kennt ja kein Alter“ und dann fliegt sie raus“ (ALLES SCHWIMMT DAVON). Aber auch das Leben an sich, das selten nach Plan läuft: „Hör, das Herz ist auch kein Metronom / Es stolpert mal hinterher, mal nach vorn / Nicht umsonst, manchmal vielleicht vergebens / Aber immer im Rhythmus des Lebens“ (METRONOM). In SCHATTENKIND tanzt das innere Kind durch seine eigene Welt - als „Schiff ohne Kompass“ als „Krieger“ als „leuchtender Stern“: „Manchmal bin ich wütend, aber eigentlich gekränkt“ - es sind im Prinzip einfache Sätze wie diese, die das allzu-menschliche greifbar machen. Hans Wagner, der nicht nur das Herz anatomisch gesehen auf der falschen Seite hat, trägt seine Blutpumpe auf der Zunge und braucht sich auch 2023 nicht hinter Ironie zu verstecken. In U-BOOT funktioniert der Text subtiler: „Sozialer Stress und stille Konkurrenz“ reimen sich auf „Copy Paste Friends“, und damit ist alles klar.
Die Musik umspielt die Texte dabei so elegant, als wäre das Streichquartett im Pop das Normalste der Welt. Feine Grooves, effektierter E-Bass und verspielte Vintage Synthesizer erweitern diese Klangwelt in Richtung Verträumtheit und Melancholie. Selten brausen die Streicher auch rockig auf wie früher (FEUER IN MIR, AUF HOHER SEE).
Das große Finale ist schließlich die Live-Aufnahme eines Auftragswerks für Band und Orchester, das 2019 am Kammermusik Festival in Graz uraufgeführt wurde. Es realisiert die Idee eines sinfonischen Popliedes - ein Kindheitstraum Hans Wagners. Musikalisch gesehen sowohl mit Raum für Improvisationen als auch kompositorisch durchdacht, setzt es sich mit dem Thema Sterben auseinander als thematische Fußnote zum damaligen Anlass des Konzertes: Eine Benefizveranstaltung für ein Hospiz. Während sich das Orchester spiralförmig nach oben schraubt, endet es schließlich mit dem Übergang vom Diesseits ins Jenseits: „Das Licht mit gütigen Augen fragt: Bist du jetzt soweit? Und verströmt das, was wir alle brauchen können: Ewige Geborgenheit“